1. Biografie des Autors

Jean-Pierre Martinez, geboren 1955, zählt zu den produk­tivsten und meistgespielten der heutigen Theater- und TV-Drehbuch­autoren Frankreichs. Nach Studium und eigener Lehre von Text- und Bildsemiotik an sozial- und theater­wissenschaftlichen Hoch­schulen (Ecole Pratique des Hautes Etudes en Sciences SocialesConser­vatoire européen d’écriture audiovisuelle) hat er bis heute 101 Komödien und über 100 TV-Drehbücher verfasst. Seine Komödien werden jedes Jahr über 2.000-mal an franzö­si­schen Bühnen und international aufgeführt und sind inzwi­schen in 12 Sprachen übersetzt jetzt auch auf Deutsch. Die Internet-Plattform von Martinez wird mehr als eine Million Mal pro Jahr angeklickt. Mit seiner eigenen Theatergruppe La Compagnie Libre Théâtre haben Martinez und seine Frau sich einem populären Theater im besten Wortsinn verschrieben: « un théâtre de divertissement sans vulgarité, intelli­gent mais pas « intello », engagé mais pas édifiant, éthique mais pas pédagogique ».  Seit 2018 ist Martinez mit dieser Theatergruppe auf und neben dem Theater­festival von Avignon aktiv.

Um seine Stücke interessierten Theatergruppen nahezubringen, hat Martinez sie nach Zahl der Figuren, Ort der Handlung und Themen geordnet und zum freien Download auf seiner Internet-Plattform ausgestellt. Er verwirklicht damit seine verlegerische Vorstel­lung, er schreibe nicht, um gedruckt und gelesen, sondern um gespielt zu werden (« Mes textes ne sont pas destinés à séduire des comités de lecture, mais à plaire au public. C’est pourquoi je propose directement mes comédies aux compagnies, en toute liberté »


Um über die neuesten online veröffentlichten Übersetzungen informiert zu bleiben, besuchen Sie bitte die Website des Autors Jean-Pierre Martinez.

2. Handlung seiner Stücke

Vier Sterne / Quatre étoiles
Sie haben nichts gemeinsam – vier Reisende, die eine Reise ins All gebucht haben. Das Zusammenleben im Raumschiff verläuft mehr oder weniger gut – bis zu dem Moment, als der Kontrollturm ihnen eröffnet, dass sie wegen eines Lecks in der Sauerstoffversorgung zurückgeholt werden müssen. Das Problem: es ist nicht mehr genug Luft für alle da… Eine/r von ihnen muss sich opfern, sonst kommen sie alle um. Sie haben eine Stunde Zeit, um denjenigen zu finden, der das „Zeug zum Helden“ hat…

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Die Touristen / Les touristes

Ein Touristen-Pärchen aus Paris hat in einem nord­afrikanischen Land nach dem Arabischen Frühling eine Ferien­wohnung günstig zu mieten bekommen. Aber in dem Haus hat sich schon ein anderes Pärchen breitgemacht…

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Strip Poker / Strip Poker

Die Nachbarn zum Kennenlernen einladen, kann zu einem gewagten Poker-Spiel werden, bei dem alle ihre Karten auf den Tisch legen müssen… Pierre und Marie, ein junges Pariser Ehepaar, haben die neu zugezogenen Nachbarn Jacques und Céline zum Essen eingeladen. Es treffen auf­einander: jung und alt, locker-ungezwungen und steif-verklemmt, aber auch vier Menschen, die alle etwas zu verbergen haben – noch dazu voreinander. Wie hat es Marie mit der Treue gegenüber ihrem Mann gehalten? Haben die Nachbarn etwas mit dem Verschwinden von Maries Katze zu tun? Was hat der gering Beschäftigte Pierre von der Unternehmens-Saniererin Céline zu erwarten, die ausgerechnet auf „seine“ Arbeitsstelle an der Biblio­thèque Nationale angesetzt ist?
Wollten Pierre und Céline eben noch die langweiligen Nachbarn loswerden, so müssen sie sie jetzt zurückhalten und bei einer Partie Poker zu „Selbstenthüllungen“ bringen, um etwas gegen Célines Sanierungswut in die Hand zu bekommen…

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Freitag, der 13. / Vendredi 13

Wenn man im Lauf eines Abends erfährt, dass die beste Freundin mit dem Flugzeug abgestürzt ist und man selbst den Jackpot im Lotto geknackt hat – wie soll man da sein Glück vor dem potentiellen Witwer zurückhalten ?

Jérôme und Christelle haben ein befreundetes Pärchen zum Abendessen eingeladen. Aber nur Patrick taucht auf, allein, vollkommen aufgelöst: eben hat er aus dem Radio erfahren, dass das Flugzeug mit seiner Frau auf dem Flug nach Paris über dem Ärmelkanal abgestürzt ist. Die Gastgeber verfolgen mit dem potentiellen Witwer die Nachrichten – ist seine Frau unter den Überlebenden oder nicht? Zwischendurch stellt sich bei der Bekanntgabe der Lottozahlen heraus, dass Jérôme und Christelle an diesem Freitag, den 13. den Jackpot im Lotto geknackt haben. Fortan müssen sie mit ihrer Freude „hinterm Berg halten“ – verständlich, dass es an diesem bewegten Abend stimmungsmäßig auf und ab geht …

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„Die Wahn-Wache / Flagrant Délire“

Wie hängen eine Leiche in einer Sauna und das Plagiat eines Theaterstückes zusammen? Dieser Fall beschäftigt Kommissar Navarrin an seinem letzten Arbeitstag und wächst sich beinahe zu einer handfesten Staatsaffäre aus.Was für ein Theater…
Übersetzung: Guy Sagnes – Musenkeller Theater Ensemble am 5. November 2022 in Gießen (Deutschland)
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3. Martinez‘ Komödienkonzept

Jean-Pierre Martinez glaubt mit Bertolt Brecht (1) an die Berufung des Theaters zum Komödiantischen: „Ein Theater, in dem man nicht lachen soll, ist ein Theater, über das man lachen soll. Wie für eine bühnengemäße und publikumswirksame Komödie wünschenswert, ist in den Komödien von Jean-Pierre Martinez das Komische auf allen Ebenen des Bühnenspiels angesiedelt (2):

  • auf der Ebene der Handlung, der Situationskomik, durch Verwicklungen und Peripetien: in Freitag, der 13. wollen zwei befreundete Ehepaare einen Abend miteinander verbringen, doch von dem Gast-Paar taucht nur er auf, allein, vollkommen aufgelöst. Eben hat er aus dem Radio erfahren, dass das Flugzeug mit seiner Frau über dem Ärmelkanal abgestürzt ist. Die Gastgeber verfolgen mit dem potenziellen Witwer die Nachrichten – ist seine Frau unter den Überlebenden oder nicht? Zwischendurch stellt sich bei der Bekanntgabe der Lottozahlen heraus, dass die Gastgeber an diesem Freitag, den 13., den Jackpot im Lotto geknackt haben. Fortan müssen sie mit ihrer Freude „hinterm Berg halten“ – verständlich, dass es an diesem bewegten Abend stimmungsmäßig auf und ab geht…
  • auf der Ebene der Figuren, der Charakterkomik: in Les Touristes treffen ein Pariser Schickeria-Paar und ein Paar aus den Vororten aufeinander, in Alltagsverhalten und Sprache krass gegeneinander abgesetzt.
  • auf der Ebene der Metatheatralik, durch die satirische Darstellung der außerliterarischen Wirklichkeit: in Strip Poker die sanitären Verhältnisse (Gasleitungen !) in Pariser Wohnungen; oder die als mögliches Sanierungsobjekt für Céline angesprochene Sozialistische Partei Frankreichs; oder eine Verlagerung der Pariser Bibliothèque Nationale nach China.
  • auf der Ebene der Sprache, der Wortkomik, mit geschliffenen, zugespitzten, sprachspielerischen oder die Figuren entblößenden Dialogen :

Marie: Und wie heißen Ihre Kinder?
Céline: Sarah, Esther und der jüngste heißt Benjamin.
Marie strengt sich an, daraus auf die Religionszugehörigkeit der Nachbarn zu schließen, aber ohne großen Erfolg.
Marie: Klar, Benjamin… Ist ja logisch… Das Nesthäkchen.
Céline: Sie haben keine Kinder, nicht wahr…?
Etwas peinliches Schweigen.
Marie: Noch nicht… (gibt sich einen Ruck) Entschuldigen Sie die Nachfrage, aber Ihr Familienname – war das Mariel, wie der Schauspieler oder Ariel…?
Pierre: Wie das Waschpulver…
Jacques: Mariel.
Marie (erleichtert): Uff! Wir hatten Angst, dass Sie Juden sind!
Unbehagen bei den Gästen. Marie kommt ins Stocken, aber fängt sich noch einmal.
Marie: Ach, entschuldigen Sie, es ist nur so, dass ich einen Schweinebraten mit Pflaumenfül­lung im Rohr habe… Aber das können wir noch ummodeln. Irgendwo im Gefrierfach muss noch eine Quiche Lorraine liegen… Das macht keine großen Umstände…
Pierre: Sonst können wir die Einladung ja auch auf ein anderes Mal verschieben…
Marie wirft ihm einen vernichtenden Blick zu.
Céline (entspannter): Ach, nicht doch, Sie brauchen keine Rücksicht auf uns zu nehmen. Der Schwei­­nebraten geht vollkommen in Ordnung.
Jacques (mit trockenem Humor): Nur Ihre Pflaumen… die sind hoffentlich koscher? (sieht zufrieden, wie verlegen Marie wieder wird) Nein, ich mach nur Spaß. Haupt­sache, sie sind entsteint! Das sag ich immer, wegen der Zähne. … Und Sie, wie war Ihr Familienname gleich wieder? Curry?
Marie: Safran…
Jacques: Ach, schade… (Pierre und Marie verstehen nicht).
Jacques (selbstzufrieden): Na, wegen Pierre und Marie… (Pierre und Marie verstehen immer noch nicht.) Pierre und Marie Curie!
Céline findet den Witz ihres Mannes auch ein wenig plump.

All dem ist eine Komödientheorie übergeordnet, der zufolge es Ziel der Komödie ist, das Publikum an einer Art ‚Läuterung‘ (Katharsis) zu beteiligen: sie aufmerksam zu machen auf zu belächelnde oder lächerliche Makel und Macken von Personen; Verstehen und Verständnis zu wecken – und letztlich Mitgefühl. Ins Scheinwerferlicht gerückt werden Menschen mit jeweils unvollkommenen, unbefriedigenden sozialen Rollen («… les différents lieux d’une socialité par défaut » (comediatheque.net). Diese vom Schicksal oder von ‚Soziopathie‘ (3) irregeleiteten oder in ihrer Lebensführung sich selbst entfremdeten Menschen zeichnet Martinez mit Humor: als einer Haltung des höflichen Umgangs mit der Tragikomik des Lebens: « l’humour est la politesse du désespoir » (J.P. Martinez).

 

4. Vom Erfolg französischer Gegenwartskomödien

„Zwischen dem französischen und deutschen Theater gibt es einen lebhaften Austausch. Trotzdem scheint diese Theateraffäre oft einseitig. Das französische Publikum steht den vielfältigen Formen des deutschen Regietheaters sehr aufgeschlossen gegenüber. Umgekehrt hat es das französische Theater in Deutschland häufig schwer. Etablierte französische Dramatiker sind … wichtige Stimmen im eigenen Land, [finden aber] nur selten ihren Weg ins deutsche Theater.“ (4)

An gleicher Stelle wird jedoch auf die günstigere Aufnahme französischer (Mainstream-) Komödien „mit ihrer Mischung aus flottem Humor, süffisanten Spitzen und unterschwelligem menschlichen Drama“ eingegangen.

„Ausnahmen sind die Komödienschreiber Yasmina Reza und Eric-Emmanuel Schmitt mit ihren geschliffenen, pointierten und temporeichen Dialogen, die in Frankreich vor allem an Privattheatern gespielt werden. Für deutsche Stadttheater sind sie sichere Publikumsrenner, seit die Komödie « Kunst“ von Reza an der Berliner Schaubühne 1995 erstmals im deutschsprachigen Raum aufgeführt wurde. Der Triumphzug ihrer Stücke begründet sich auch darin, dass dieses dramatische Genre in einer literarischen Tradition steht, die es in Deutschland nicht gibt.“ (5)

Auch in jüngster Zeit war einer Komödie wie Frühstück bei Monsieur Henri (Originaltitel: L’Étudiante et Monsieur Henri) von Regisseur Ivan Calbérac aus dem Jahr 2015, der als Bühnenstück und in der Verfilmung in Deutschland großer Erfolg beschert war. Im Heidelberger Zimmertheater zog das Stück ein halbes Jahr lang in 154 Aufführungen 13.967 Zuschauer an (6), in Stuttgarts Theaterschiff erhielt das „brilliante Lustspiel“ minutenlangen Applaus (7).

Für den Erfolg der Theaterstücke von Jean-Pierre Martinez steht die Zahl jährlicher Aufführungen in aller Welt und in der Verbreitung durch Übersetzungen. Vendredi 13 (Freitag, der 13.), das meistgespielte Theaterstück von Jean Pierre Martinez und nach seiner Einschätzung eine comédie culte, wurde schon bald nach ihrem Erscheinen 2011 auf verschiedenen Bühnen von Paris aufgeführt (Théâtre Montmartre Galabru, Théâtre du Guichet Montparnasse, Théâtre des Blancs Manteaux). In den letzten Jahren (seit 2016) brachte es das Stück auf 418 Aufführungen (davon allein 93 Aufführungen in der ersten Jahreshälfte 2019). In Übersetzungen kam Vendredi 13 in Spanien, Portugal, Argentinien, Uruguay, Peru, Kanada und den USA (Broadway) zur Aufführung (8).

5. Zur Übersetzung

Die vorliegenden Übersetzungen sind aus Lehrveranstaltungen zur Literatur- und Medien­übersetzung hervorgegangen, die ich am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der Universität Mainz / Germersheim durchgeführt habe. Beigetragen haben französisch- und deutschsprachige Studierende, Absolvent*innen und Kolleg*innen des dort angebotenen (international renommierten!) Studiengangs für Übersetzen und Dolmet­schen.

Demnächst erscheint auf comediatheque.net (nach Freitag, der 13., Strip Poker, Vier Sterne und Die Touristen) auch die deutsche Übersetzung der Komödie Ein kleiner Mord ohne Konsequenzen von J.P. Martinez. 

Dr. Hans-Joachim Bopst

1. Bertolt Brecht, 16, 644
2. Vgl.: Almuth Voß (1998): Das selbstbewusste Spiel. Autoreferentialität und Unterhaltung im französischen Gegen­wartstheater. LIT, S. 221f . – Vgl. auch Rainer Kohlmayer (2017): Deutsche Sprachkomik. Ein Über­blick für Übersetzer und Germanisten. Peter Lang, S. 135ff
3. Ernst Kemmer (2001): Nachwort. In: La Haine. Scenario de Mathieu Kassovitz (1995). Stuttgart: Reclam. S. 150
4. Beate Heine (2013): „Mehr als Kunst. Was macht französisches Theater so anders?“. by-nc-nd/3.0/ http://www.bpb.de/internationales/europa/frankreich/153270/theater
5. Christian Horn: Die Filmstarts-Kritik zu Frühstück bei Monsieur Henri. http://www.filmstarts.de/kritiken/239502/kritik.html
6. Mündliche Auskunft der Theaterleitung vom 27.08.2018
7. Rolf Wenzel, in: Stuttgarter Nachrichten, 4. Juni 2018, https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.premiere-im-theaterschiff-gesellschaftskomoedie-mit-tiefsinn.77209a53-36c0-495b-a4fc-47df49675df9.html
8. Auskunft des Autors vom 27.07. 2019.- In deutscher Übersetzung liegt bisher nur sein Stück Tote lachen länger vor (frz. Morts de rire), angefertigt von der fran­ko­phonen Berliner Theatergruppe Théta-Théâtre.

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